Special
Symposium: Risking Repetition. Aesthetics of «Survival»
In einem zweitägigen mehrstimmigen Gesprächsformat soll in den Blick genommen werden, wie «Überlebende» von sexualisierter Gewalt das «Überleben» performen. Die ästhetischen Strategien performativer Modi in den Arbeiten vieler Betroffener unterlaufen dabei oft melodramatische Erwartungen an die Performance traumatischer Nachwirkungen. Stattdessen ist in solchen Arbeiten eine Tendenz zu «underperformed emotion» (Lauren Berlant) festzustellen und viele Künstler:innen «riskieren Wiederholung» («risking repetition» – Ann Cvetokovic) statt das Trauma zu meiden. Solche ästhetische Strategien verkomplizieren den Begriff des «Überlebens»: Statt einen Zustand der Unversehrtheit und Heilung herbeizusehnen, integrieren sie Negatives und Unvollständiges, und wenden ästhetische Strategien wie Verwirrung, Dissoziation oder Underperformance an.
Das Symposium wird am Samstagabend mit der Performance Zones of Resplendence von Carolina Mendonça, Konzerten von bela, gotgha und Ronce und von einer Late-night Lecture der Psychoanalytikerin und Theoretikerin Avgi Saketopoulou mit dem Titel Lingering in the wound: sadism and confusion as aesthetic practice eröffnet.
Am Sonntag folgt ein offenes, partizipatorisches Roundtable-Gespräch zu diesen Themen, an dem zu Beginn Avgi Saketopoulou, Carolina Mendonça und Joshua Wicke teilnehmen. Dieses experimentelle Diskussionsformat lädt jede:n dazu ein, Expert:in für die eigenen Erfahrungen zu werden und sich an der Diskussion am runden Tisch zu beteiligen. Es gibt Suppe und Brennnesseltee in der Küche, die Gelegenheit, sich zu stärken, Luft zu schnappen oder einfach nur zusammen zu sein.
Samstag, 26. Oktober 2024
20:30 – 21:30 Konzertperformance Ronce
21:30 – 22:30 Konzertperformance bela
22:30 – 23:30 Performance Zones of Resplendence von Carolina Mendonça
00:00 – 01:00 Vortrag Lingering in the wound: sadism and confusion as aesthetic practice von Avgi Saketopoulou
01:00 – Konzertperformance gotgha
Sonntag, 27. Oktober 2024
16:00 - 19:00: Offenes Roundtable-Gespräch mit Avgi Saketopoulou, Carolina Mendonça, Joshua Wicke und weiteren Gästen.
Bitte beachte: Die Veranstaltung dreht sich um Praktiken von Künstler:innen, die sich in ihren Arbeiten - teilweise explizit - mit Erfahrungen von sexualisierter Gewalt auseinandersetzen. Einige der Arbeiten verwenden hohe Lautstärken als ästhetisches Mittel.
Risking Repetition findet auf Einladung von Tanzhaus-Kompliz:in Joseph Baan im Rahmen von Structures of Unfeeling statt: eine performative Lernumgebung, die das Ausstellungsformat nutzt, um eine öffentliche Kultur rund um sexualisierte Gewalt zu gestalten. Initiiert von SOHERE (Joseph Baan, wolf engelen, Vanessa Jane Phaff) und durchgeführt in der BINZ39 und im Tanzhaus Zürich, bringt Structures of Unfeeling eine vielfältige Gruppe von Fachleuten aus den Bereichen Kunst, Bildung, Musik, Performance, Dramaturgie und Wissenschaft zusammen, die alle auf unterschiedliche Weise von den Geschichten sexualisierter Gewalt betroffen und geprägt sind. Durch räumliche Interventionen, Kunstwerke, einen Reader, ein frei zugängliches Archiv und Druckraum, Seminare und Workshops, ein Symposium sowie ein Programm mit Konzerten, Nachtwachen und Filmvorführungen bietet das Programm eine vielfältige und umfassende Umgebung, um Gespräche, kollektives Denken und Handeln zu fördern und einen diskursiven Rahmen zu schaffen, der das Thema sexualisierte Gewalt auf ästhetische, materielle, verkörperte und theoretische Weise angeht. Weitere Informationen zum Programm unter: josephinebaan.com/Structures-of-Unfeeling
Konzertperformance
Ronce
Mit einer Mischung aus raubtierhaftem ASMR, Feldaufnahmen und verzerrten Frequenzen ist Ronces Performance eine krude Erfahrung aus erster Hand, wie es ist, eine junge Frau zu sein, die ständig den Augen und Händen von Männern ausgesetzt ist.
Das Ziel dieses musikalischen und performativen Projekts ist es, bei den Zuhörer:innen ein extremes Unbehagen auszulösen und dabei häufig die Schwelle zur Katharsis zu überschreiten.
Konzertperformance
bela
Eine unverständliche Stimme bricht über kybernetische Beats in der Dunkelheit hervor. Die Stimme, die Sprache und die koreanische Tradition des Pungmul werden bis zum Äussersten getrieben und in ein geschwärztes queeres Wutritual gepresst. Zerbrochene Buchstaben und Pansori-Texte sprechen von den Marginalisierten und ihren Unterdrücker:innen, sie durchleben und rekonfigurieren die persönlichen und traumatischen Momente des Lebens in nicht-linearer Zeit. Jede körperliche und klangliche Geste wird inszeniert, um die Knoten auf der existentiellen Achse zu entwirren. Diese Performance ist Belas Vorstellung von Heilung durch Wiederholung.
Performance
Carolina Mendonça: Zones of Resplendence
Wie sähe die Welt aus, wenn du deine eigene Waffe wählen könntest? Zones of Resplendence erforscht die Erscheinungsformen einer möglichen feminisierten Armee. Carolina Mendonça und Lara Ferrari untersuchen, ob man einen Krieg mit Verletzlichkeit führen kann, und erweitern so die Perspektive auf Gewalt. Indem sie ihren Körper auf unterschiedliche Weise einsetzen, bereiten sie sich auf eine mögliche Konfrontation vor. Wird diese Science-Fiction-Tanzperformance eine neue Art von Armee hervorbringen?
Regie, Text & Performance Carolina Mendonça⎮Performance & Mitarbeit Lara Ferrari⎮Dramaturgie Carolina Bianchi & Joshua Wicke⎮Sound Miguel Caldas⎮Licht Laura Salerno & Leticia Scrycky ⎮Kostüm Miguel Peñaranda Olmeda & Stef Assandri ⎮unterstützt von radical hope, hot bodies studio, wpZimmer, workspacebrussels, Fonds Darstellende Künste im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR #TakeHeart Residenzförderung und El Caldo/Gessenerallee
Vortrag
Avgi Saketopoulou: Lingering in the Wound: Sadism and Confusion as Aesthetic Practice
Im Gegensatz zu der Logik, dass Wunden nur Leiden erzeugen und der richtige Umgang mit dem Trauma daher die Wiedergutmachung ist, führt Saketopoulou das Konzept der Traumatophilie ein. Traumatophile Kunst verweilt in der Wunde, nicht um die Verletzung zu behandeln/zu heilen, sondern um sich an ihr zu reiben, ja sogar um zu riskieren, dass sie im verkörperten Raum des Theaters wieder aufbricht. Solche Kunst ist nicht auf Heilung oder Reparatur aus: Sie riskiert vielmehr, sich traumatischen Intensitäten auszusetzen, die nicht durch Anamnese erfasst werden können, Intensitäten, die ein flüchtiges Verhältnis zum Erfassen oder Verstehen haben und die eine sadistische Kraft auf Künstler:in und Publikum ausüben. Dass ein solcher Sadismus auch zärtlich ist, ist kein Widerspruch, sondern die eigentliche Bedingung für einen Sadismus, den wir als ästhetisch bezeichnen könnten. Ausgehend vom ersten Teil der Trilogie Cadela Força von Carolina Bianchi und dem Kunstkollektiv Cara de Cavalo untersucht Saketopoulou, wie sich Wunde und Ästhetik durch eine ethische Form sadistischer Praxis begegnen, die nicht durch Klarheit oder Verständnis, sondern durch das Werben um Verwirrung entsteht.
Konzertperformance
Gotgha
Mit deren jüngsten Werk eröffnet Gotgha einen Raum, in dem das Ungelöste und Unaussprechliche mitschwingt, das sich um Traurigkeit, Trauma und ungelenke, gesichtslose Freude dreht. Durch nicht-lineare Klanggewebe aus Feldaufnahmen und der mitteleuropäischen Zither, formulieren pulsierende Elektronik und Geräuschschichten Proxy-Schreie, wo die Stimme versagt. In diesem Stück strebt Gotgha einen performativen Zustand an, in dem sich die eigenen Erinnerungen und das innere Feedback der Instrumente als pararäumliche Entitäten manifestieren. Diese Öffnung von Räumen ist eine Einladung zur Transformation durch Wiederholung.
Kuratiert von Luc Häfliger (Musik) und Joshua Wicke (Diskurs) im Gespräch mit SOHERE (Joseph Baan, wolf engelen, Vanessa Jane Phaff)
Mit Beiträgen von Ronce, bela, Carolina Mendonça, Avgi Saketopoulou, gotgha
Bild Zones of Resplendence von Carolina Mendonça, Foto Mila Ercoli